Steckbrief
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eine wahre geschichte nichts besonderes lag vor. bob hatte einen ruhigen tag vor sich. der terminkalender lachte ihn ohne einen einzigen eintrag an. die rubrik »erledigen« sah auch nichts vor. wie schon so lange: heute würde bob wieder keine versicherung verkaufen und viel zeit haben. also abwarten. schnell noch e-mail abgeholt, beim boss gepollt: nur etwas war bemerkenswert: georg schrieb, ihm sei keine maus abhanden gekommen, aber seine habe schluckauf. verstehe, wer das wolle. ein spieltag? towers war jetzt genau das richtige. gleich zwei asse greifbar, aber zwei könige blockten den weiteren abbau der stapel. da mußte die zwei raus, aber dadurch waren vier zwischenablagen blockiert. wohin damit? aber da kommt die kreuz-dame, fängt sich jungen, zehn und neun, die herz as kommt rauf und weiter und weiter und tooooooor. geschafft! in die bestenliste mit 0:53. uff. sucht! der gedanke schlich sich immer öfter in seinen kopf. vertane zeit. seine welt schien sich manchmal auf die 15 zoll bildschirm und die tastatur zu reduzieren. privatleben fand immer weniger außerhalb des hauses mit realen menschen statt. aber nun reduzierten sich auch langsam, aber merklich, auch seine brett- und mailbeziehungen. für flirt.ger hatte er keinen bock mehr. eine zeit hatte er männern vorgegaukelt, sie hätten ein weibliches gegenüber. und da er männerträume vielleicht besser kannte, als jede frau, brachte er sie auch blendend an den mann: eine einladung zu einem südseeurlaub auf einsamer insel und zwei heiratsanträge mußte er bedauernd ablehnen. der eine war gar von einem millionenschweren hühnerzüchter gekommen, der sich aber nach intensiven recherchen als verkäuferin an der geflügeltheke in einem großmarkt entpuppte. er legte ein sauberes ankoppelmanöver an der raumstation vor, öffnete aber zu früh das druckventil und 64 besatzungsmitglieder zerplatzten im vakuum. gedankenverloren schloß er die »cards«. flugsimulator? nein, heute keine spiele mehr! und dann doch wenigstens die mines. er spürte seinen inneren widerstand gegen die spielerei. sucht ist, wenn man sich nicht mehr nein sagen kann kann. darum war er erleichtert, als er die minensuche beendet hatte. einen neuen grafikbetrachter hatte er sich von seinem boss gesaugt. installation war kein problem, pcx, gif, umwandlung, übliche tiff-probleme nicht gelöst... bob hatte sich einmal eine foto-cd brennen lassen und 200 mark dafür bezahlt. und das für belanglose fotos von einem wochenende vom treffen der points. enttäuschend war es gewesen. jahre hatte er mit vielen kontakt gehabt und sich hinter jedem namen eine persönlichkeit gebaut. der erste eindruck war immer der wichtigste geblieben, aber er hatte ihn verändert. paul, der sich gerne mit philosophenzitaten schmückte, hatte er erst eine randlose brille verpaßt, dann eine hornbrille, braun-grau, passen zu pauls ergrauenden schläfen. dozent an der uni wurde er, dann dekan. mary entstand als pummelchen. zurückhaltend und bescheiden. sie tat ihm leid. als er sie mit einer gehbehinderung zu sehen begann, tat sie ihm richtig leid. darum schrieb er ihr auch oft, er habe ihre kochtips befolgt und ob er nicht auch kurkuma statt safran nehmen könne. sie bot an, ihn zu besuchen und einmal für ihn zu kochen. so weit ging bobs nächstenliebe dann doch nicht. sich und seine umgebung hatte er nicht wirklich vernachlässigt, aber er brauchte doch etwa einen halben tag um seine wohnung halbwegs vorzeigbar zu machen: geschirr in die spülmaschine, schmutzige wäsche in den keller, lüften, bett beziehen, toilette putzen... je seltener er es machte , desto länger brauchte er dazu. an seiner tür hing noch ein schild mit der schönen aufschrift »bob minker, online-lebensversicherung« und seiner e-mail adresse. er lebte noch von alten verträgen. als btx noch jung und neu war, hatten einige leute dem reiz nicht widerstehen können und hatten online ihre versicherung abgeschlossen. die war dann zwar weder billiger noch besser als beim freundlichen nachbarn, aber vermittelten ein modernes gefühl. bei partys konnte man dann, verziert mit unpassenden fachausdrücken, dem staunenden publikum erklären, wie man als experte geschäfte macht. schwellt die brust. seine prämien hatte bob auf halde liegen. erst, wenn die kunden einige zeit lang pflegeleicht zu melken waren, bekam er sie. zum leben reichte es gerade so. schwieriger waren da schon eher die telefonrechnungen. hard und software erhielt er immer noch von einem versicherungskunden. der glaubte, seine lebensversicherung sei solider, solange er sich mit dem verkäufer gut verstand. was sollten da die 8.000 mark rückstände angesichts einer vertragssumme von einer million im todesfalle? bob sah sich langsam die bilder des pointtreffens an. mary hatte er von der seite, lässig an einen baum gelehnt, mit ihrer hübschen figur erwischt. ein bild von einer frau, intelligent, wach und offen. sie war gar nicht das pummelchen, das er sich vorgestellt hatte. und kurze zeit nachdem er sie ausgeladen hatte, hatte sie dann paul bekocht und lieben gelernt. paul war auch nicht der erwartete gebildete dozent, sondern kanalbauer. auf dem nächsten bild war er zu sehen, fett hinter seinen sechs knödeln, die er schon verdrückt hatte, und den drei restlichen, die noch zu sehen waren. ärger stieg in bob hoch. mary war wochl die verpaßte chance seines lebens überhaupt. sie hätte vielleicht die welt noch einmal für ihn öffnen können, ihn von dieser pseudowelt bildschirm wegbringen können. bob war schon mitte dreißig und hatte unter den genüssen dieses lebens seine auswahl getroffen. diese bestand vorwiegend aus bier, das er telefonisch bestellen mußte (!) und fertiggerichten von einem tiefkühlservice, der bestellungen via internet annahm. das aussuchen der gerichte war jedesmal spannender und interessanter als das essen selbst: auf dem bildschirm lachten einen die spaghetti napoli mit viel gemüse und tomaten an, bestreut mit frischer petersilie. im real life waren es dann zerkochte fettige nudeln mit einer braunen sauce, die gleich schmeckte wie die bei penne mit thunfisch. jedenfalls ersparte ihm diese ernährungsgewohnheit das verlassen des hauses und viel zeit. die zeit: wo kam sie hin? er hatte eigentlich mit seiner computerei begonnen um zeit zu sparen, langweilige vorgänge zu beschleunigen, zu rationalisieren. nach dem tod seiner mutter war das wirklich die öffnung zur welt gewesen. er hatte zu so vielen alten freunden und freundinnen kontakte gepflegt. war ja einfach: einen brief schreiben mit den erlebnissen der letzten zeit und ihn dann per serienbrief verschicken. zwei versionen hatte er immer gemacht, eine weibliche mit einigen anzüglichkeiten und etwas gesülze, und eine männliche ohne schnörkel. wenn er so nachdachte, wie das ganze eingeschlafen war, wurde er doch ein wenig wehmütig. einige zeit lang konnte er die gesparte zeit gut nutzen, vereinbarte rendezvous, hatte so manche heiße nacht erlebt, abgesichert und koordiniert durch seinen neuen desktop-terminplaner. feine sache. doch dann begrub das unglück wie eine lawine unaufhaltsam die ganze mühsam und filigran durchdachte und erarbeitete konstruktion unter sich. einmal nicht aufgepaßt und da, da hatte eben maja, mit der er dienstags nur essen war, den dank für das zärtliche wannenbad am mittwoch bekommen, angeredet als froni. und die wiederum fand es gar nicht lustig, zu erfahren, wie gerne er ihre rubensfigur von kopf bis fuß geküßt hatte - stand sie doch vor einer therapie wegen magersucht. dorothea drohte ihm das haus in die luft zu sprengen und michaela wollte ihm ein bestimmtes körperteil abschneiden, weil er - aber lassen wir das. seitdem jedenfalls blieb er auf der sicheren seite. sex im netz. safe und clean. er schaute noch mal hin: fast war er sich sicher, daß auf dem einen bild vom pointtreffen früher nur bäume zu sehen waren. aber der eine baum an der rechten bildkante hatte doch irgendwie etwas menschliches. er beugte sich näher zum monitor hin. aber er sah nur bäume im wald. das beruhigte ihn und er machte sich erst mal einen kaffee. doch das gefühl, da sei noch mehr, ließ ihn nicht mehr los. als er von der küche zurückkam, schwammen nur die fische vom bildschirmschoner seelenruhig herum. eine bewegung mit der maus, und der wald war wieder da. er klickte »vergrößern« an und noch mal. wie ein mosaik wirkte nun sah der bildausschnitt durch die vergrößerung. aber er hatte den eindruck, als stünde da eine unbekleidete frau und würde in seine richtung schauen. bei der gewählten auflösung war nicht zu entscheiden, ob es nur ein sonderbar geformter baum oder eine person war. weiblich jedenfalls. aber bei der gewählten auflösung war nichts mehr herauszuholen. er suchte sich ein anderes programm heraus, mit dem er die pcd images in voller auflösung laden konnte. er lud, vergrößerte den bildausschnitt und war fast erstarrt. nun saß eine hübsche frau mit langen haaren auf einem baumstumpf und lächelte ihn an. der unterschied in der auflösung konnte es nicht sein, denn auch beim vorherigen view-programm hätte er sie sehen müssen. um der sache nachzugehen installierte er den bildschirmtreiber komplett neu. diesmal mit maximaler farbtiefe. als er fertig war und das bild neu von cd eingelesen hatte. stand das baumweibchen schon mitten im bild und hatte die hand zum gruß erhoben. meinst du mich? fragte bob. im gleichen augenblick errötete er. er wußte, daß er gemeint war. sonst war je keiner da. ohne zu zögern ging er zu ihr und nahm sie zur begrüßung in den arm. weich, warm und vertraut fühlte sie sich an. als würden sie sich von kind auf kennen. sie fuhr ihm durch sein haar und er küßte ihre stirn. sie war nicht nackt, wie er erst gedacht hatte. aber ihr kleid erinnerte so an rinde und laub. und nun war ihm auch klar, warum er sie so lange übersehen hatte. sie setzten sich auf die einladende bank, er legte seinen arm um sie. ruhig atmete er die feucht-kühle waldluft. er hörte die vögel singen und erzählte ihr von seiner kindheit, als er mit seiner großmutter oft im wald gesessen hatte. wie sie ihm von den baumweibchen erzählt und er es für märchen gehalten hatte. und er genoß die welt mit allen sinnen. gut, daß ich die volle farbtiefe und auflösung gewählt habe, dachte er. und sylvia, so hieß sie, erzählte ihm vom letzten treffen der waldwesen und welchen streich sie dem gelben teufelchen gespielt hatte, wie die waldtiere eine band zusammengestellt hatten, damit sie mit den feen zusammen tanzen konnten. tecno im wald, gespielt mit flöten und harfen. sylvia wurde stiller. sie legte ich zurück auf dem waldboden, den mittlerweile die sonne gewärmt hatte. bob streichelte ihre wangen, spürte immer mehr von ihrer haut und ihrem zauber und schmiegte sich in sie hinein. so wohlig weich und voll von leben. immer tiefer durchdrangen sich ihre körper und seelen bis sie nicht mehr wußten, wer wer war und nur noch lust und leben war. als sie erwachten, fragte er sie, was baumweibchen gerne essen. eine große schüssel griechischen salat wünschte sich sylvia und bob wußte eine gaststätte mit tischen im freien. ganz bei ihm in der nähe. wie spielende kinder hüpften sie den berg hinab und in die stadt hinein. bevor sie zum griechen um die ecke bogen, kamen sie an einem ausgebrannten haus vorbei. in der zeitung hatte gestanden, der zurückgezogen lebende bewohner, ein sonderling, habe einen herzschlag bekommen und im umfallen den monitor umgeworfen. der wiederum habe einen kurzschluß bekommen und das haus entzündet. schwarz leuchtete durch die glaslosen fenster. neben der tür konnte man noch »online-leben« lesen, der rest war verkohlt. ungläubig starrte bob auf das haus. wie man das leben nennen kann? sylvia schmiegte sich an ihn. ich habe hunger, sagte sie. copyright ©1996 dietrich bardens. kommerzielle verbreitung bedarf einer schriftlichen vereinbarung.
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